Lesepredigt zu Miserikordias Domini 26.04.2020

Predigt zum Sonntag Miserikordias Domini – 26.04.2020, Altenmünster
zu 1. Petrus 2, 18-25

 
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18 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen. 19 Denn das ist Gnade, wenn jemand um des Gewissens willen vor Gott Übel erträgt und Unrecht leidet. 20 Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr für Missetaten Schläge erduldet? Aber wenn ihr leidet und duldet, weil ihr das Gute tut, ist dies Gnade bei Gott. 21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; 22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; 23 der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; 24 der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. 25 Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.                                                                                  Bibeltext: Lutherbibel 2017

Der Sonntag MISERIKORDIAS DOMINI, der 2. Sonntag nach Ostern, wird oft auch als „Hirten-Sonntag“ bezeichnet. Im Mittelpunkt steht Jesus, der ein in vielen biblischen Schriften zitiertes Bild auf sich bezieht und über sich selbst sagt: „Ich bin der gute Hirte“ (Jh. 10,11). In den Versen 18 – 25 im 2. Kapitel des 1. Petrusbriefes wendet sich der Verfasser dieses Briefes selbst als Hirte an die Mitglieder in der Gemeinde, die ihr Leben als Knechte und Sklaven fristen müssen. Er weiß: Neben gütigen und freundlichen Herren, denen man gerne dient, gibt es auch die „wunderlichen“, deren Willkür ein antiker Sklave weitgehend rechtlos ausgeliefert war. Auch diesen Herren sollen sich die Sklaven und Knechte willig unterordnen.

Eine solche Sichtweise mag uns empören. Für uns selbstverständlich sind die in unserer Verfassung garantierten Grundrechte, deren Einschränkung in der gegenwärtigen Corona-Krise nicht nur bei Verfassungsrechtlern höchste Nervosität auslöst; sind sie doch ein in zweitausendjähriger abendländischer Geschichte bitter erkämpftes Gut, das es zu verteidigen gilt. – Die Situation der Sklaven im alten Rom war allerdings eine ganz andere. Sie hatten keine Freiheit. Sie besaßen keine Rechte. Sie hatten sich in ihr Schicksal zu fügen. Aber wenn ihre Stellung damals in der gesellschaftlichen Hierarchie auch ganz unten war, vor Gott hatten sie gleiches Ansehen und gleiches Recht wie ihre Herren. Das hat in der frühen Kirche die Botschaft des Evangeliums besonders auch unter den Mitgliedern der unteren Gesellschaftsgruppen attraktiv gemacht und den Boden bereitet für einen Prozess, der in den nachfolgenden Jahrhunderten dazu geführt hat, dass Menschen nicht nur vor Gott sondern auch vor dem Gesetz und in rechtlicher Hinsicht gleichberechtigt geworden sind.

Die äußere Situation der im Predigttext angesprochenen Sklaven und unsere Situation heute ist - Gott sei Dank - eine völlig andere. Die Argumentation, mit der der Autor dieses Briefes seine Haltung begründet, hat aber auch für uns Bedeutung. Der Autor fordert das Gebotene nicht nur aus äußerer Gehorsamspflicht zu erfüllen, sondern aus einer inneren Grundüberzeugung heraus, weil wir „dazu berufen“ sind (V 21). Das heißt für uns: Wir sollen das, was wir nach christlichem Selbstverständnis tun sollen, nicht aus einem bemühten ethischen Pflichtgefühl heraus tun, sondern aus einer Grundüberzeugung heraus, weil wir mit Christus verbunden sind. Wir sollen nicht betrügen, niemand übel nachreden, niemandem Unrecht tun (vgl. Verse 22 und 23) und uns für die Rechte unserer Mitmenschen – auch der nach wie vor unterprivilegierten in anderen Ländern, die noch heute unter sklavenähnlichen Bedingungen leben, einsetzen, nicht weil „man“ als Christ oder Christin das tut, sondern weil uns das eine Herzensangelegenheit ist, wie es auch Christus eine Herzensangelegenheit war, der vieles ertrug und erlitt und es „dem anheimstellte, der gerecht richtet“.

So ist es uns in diesen Tagen nicht nur ein Gebot unserer Regierung, dem wir notgedrungen gehorchen müssen, sondern eine Herzensangelegenheit, durch die Einhaltung von Abstandsregeln, Kontaktverbot, Reisebeschränkungen und dem Tragen eines Mund- und Nasenschutzes unseren Nächsten zu schützen, zu denen vor allem Menschen im fortgeschrittenen Alten und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen gehören. Um sie zu schützen, lassen wir sogar unsere Grundrechte einschränken. Das ist ein Gebot der Nächstenliebe. Um sie zu schützen, lassen wir zurzeit sogar unserer Grundrecht auf Religionsfreiheit einschränken und verzichten vorläufig darauf, gemeinsam Gottesdienste zu feiern. Wir tun es im Bewusstsein, trotz aller räumlicher Trennung in Christi Geist mit einander verbunden zu sein, und in der Hoffnung, dass diese Einschränkungen bald wieder aufgehoben werden können, und wir uns wieder in seinem Namen zum Gottesdienst versammeln können.

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer

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