Lesepredigt zu Kantante 10.05.2020

Predigt zum Sonntag Kantate – 10.05.2020, Altenmünster
zu 2. Chronik 5, 2-14

Zum Anhören auf YouTube verfügbar

Modell vom Tempel Salomons   c. Aue - Verlag Möckmühl

2 Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. 3 Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist. 4 Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf 5 und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. 6 Aber der König Salomo und die ganze Gemeinde Israel, die bei ihm vor der Lade versammelt war, opferten Schafe und Rinder, so viel, dass es niemand zählen noch berechnen konnte. 7 So brachten die Priester die Lade des Bundes des Herrn an ihre Stätte, in den innersten Raum des Hauses, in das Allerheiligste, unter die Flügel der Cherubim, 8 dass die Cherubim ihre Flügel ausbreiteten über die Stätte der Lade. Und die Cherubim bedeckten die Lade und ihre Stangen von oben her. 9 Die Stangen aber waren so lang, dass man ihre Enden vor dem Allerheiligsten sah, aber von außen sah man sie nicht. Und sie war dort bis auf diesen Tag. 10 Und es war nichts in der Lade außer den zwei Tafeln, die Mose am Horeb hineingelegt hatte, die Tafeln des Bundes, den der Herr mit Israel geschlossen hatte, als sie aus Ägypten zogen. 11 Und die Priester gingen heraus aus dem Heiligtum – denn alle Priester, die sich eingefunden hatten, hatten sich geheiligt, ohne dass man auf die Abteilungen geachtet hätte –, 12 und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. 13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, 14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

 

Etwas unvermittelt werden wir vom Predigttext für heute aus dem 2. Chronikbuch für den Sonntag Kantate (lateinisch: singet! – nach Psalm 98,1: Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!) in die Zeit vor ca. 1000 Jahre vor Christus in das alte Israel zurzeit von König Salomon versetzt. König Salomon hatte Gott ein Haus, einen Tempel erbaut. Salomons Vater, König David, war das von Gott noch verwehrt worden. Aber nun stand der Tempel in großer Pracht auf dem Berg Zion in Jerusalem, und die Lade Gottes, die Bundeslade wurde unter einer feierlichen Zeremonie in das neu erbaute Gotteshaus gebracht. In der Lade befanden sich die beiden Steintafeln mit den 10 Geboten, die Mose von Gott auf dem Gottesberg Horeb erhalten hatte. Auf der Lade befand sich eine Art Thron, die von zwei Cherubim, zwei geflügelten Engelsfiguren flankiert war. Die Lade mit dem Thron galt als Ort der Gegenwart Gottes, den man selbst nicht sehen konnte und von dem auch kein Bild angefertigt werden durfte. Der überaus feierliche Einzug der Bundeslade in den Tempel war also der Einzug Gottes in sein Haus, die feierliche Besitznahme Gottes vom Tempel.

 

Die Schilderungen aus dem 2. Chronikbuch zeigen, welche Bedeutung der Einweihung des Salomonischen Tempels in der Geschichte Israels und im Selbstverständnis dieses Volkes hatte. Dieser Tempel und seine Nachfolgebauten in Jerusalem bildeten für Jahrhunderte den kultischen und religiösen Mittelpunkt von Israel. Zu ihm pilgerten die Menschen an den heiligen Festen und brachten ihre Opfer dar. Hier suchten sie die Nähe Gottes und brachten ihre Gebete, ihre Bitten und ihren Dank vor Gott.

 

Lassen Sie uns unser Augenmerk auf zwei Szenen dieser Erzählung von der Einweihung des Tempels richten. - Das eine scheint zunächst nur ein Detail zu sein: Als die Lade mit den Gebotstafeln und den beiden Cherubim in das Allerheiligste des Tempels gebracht wird, ragen die beiden Tragstangen, die Holme, mit deren Hilfe die Lade getragen werden konnte, etwas aus dem Allerheiligsten heraus oder stoßen an den Vorhang, mit dem das Allerheiligste vom Rest des Tempels abgetrennt war. Das scheint in der Beschreibung zunächst nur eine Randnotiz zu sein. Die Frage ist aber, warum dieser Umstand Erwähnung findet - In der Leidensgeschichte Jesu beschreibt der Evangelist Matthäus (Mt 27,51), wie dieser Vorhang in zwei Teile zerriss, als Jesus am Kreuz starb. – Schon hier fast 1000 Jahre vor Jesus zeigt diese Szene: Gott lässt sich nicht einsperren. Er lässt sich keine abgezirkelten Areale zuweisen. Er durchbricht Grenzen und sucht die Nähe zu uns Menschen. Die Tempelbauer zurzeit Salomons und der König selbst hatten ihm den Bereich des Allerheiligsten hinter einem Vorhang zugewiesen. Aber Gott lässt sich keinen Raum zuweisen. Er durchstößt die ihm zugewiesenen Grenzen.

 

Lassen Sie uns eine zweite Szene in den Blick nehmen: Als die Lade Gottes ins Allerheiligste gebracht und der Vorhang geschlossen worden war, stimmen eine große Zahl von ausgewählten Priestern und Leviten mit Gesang, Zimbeln, Psaltern und Harfen und mit Trompeten ein Loblied zur Ehre Gottes an. Sie singen: »Der Herr ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig« - Diese Musik wird als so harmonisch und als so rein beschrieben „als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn“. – Gott lässt sich vom Gesang und vom Klang der Instrumente bewegen. Denn als das Loblied zur Ehre Gottes erschallt „da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke – und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.“

                                              

Heute am Sonntag Kantate erfahren wir aus diesem alten Bericht aus dem 2. Chronikbuch: Gott lässt sich nicht festlegen und nicht einsperren, nicht in Häuser und auch nicht in Gedankengebäude menschlicher Ideen, Wünsche und Erwartungen. Sein Geist „weht, wo er will“ (vgl. Johannes Evangelium 3,8) und seine Wunder und Werke durchstoßen menschliche Grenzsetzungen, wie die Tragholme der Bundeslade den Vorhang des Allerheiligsten im Tempel. Gott ist einzigartig und groß, so dass Ihn „die Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen können“ – wie Salomon selbst in seinem Gebet zur Einweihung des Tempels voller Demut bekennt – „wie sollte es dann dieses Haus, der Tempel, tun“ (vgl. 2. Chronik 6,18) oder ein anderes menschliches Bauwerk aus Stein oder Gedanken? - Trotzdem lässt Gott sich von uns rufen und von unseren Gebeten und Lobgesängen bewegen. - Als der Lobgesang bei der Einweihung des salomonischen Tempels erklang, erfüllte die Herrlichkeit Gottes in überwältigender Weise das ganze Haus, so dass die Priester zunächst ihren Dienst nicht tun konnten.

 

Die Erzählung von der Einweihung des salomonischen Tempels vor fast 3000 Jahren sagt: Gott sucht unsere Nähe. Er will bei uns sein. Der ewige Gott, den das von ihm geschaffene Universum in seiner Unendlichkeit nicht fassen kann, und den auch unser Geist und Verstand nicht fassen und begreifen können, macht sich klein und kommt zu uns. Was uns bewegt, bewegt auch ihn. Was unser Herz erfüllt, lässt auch sein Herz nicht kalt. Mit dem Verlangen, mit dem wir seine göttliche Nähe, seinen väterlichen Trost und seine mütterliche Barmherzigkeit suchen, sucht er auch uns. Wenn er sich einen Raum zuweisen lässt, dann ist es der Raum unseres Herzens. Das ist auch die Botschaft Jesu, der selbst im Tempel die Nähe des Vaters gesucht hat. Wenn wir heute am Sonntag Kantate des Jahres 2020 unter Corona Bedingungen Gott auch nicht gemeinsam ein Lied anstimmen können, so können wir der Aufforderung aus Psalm 98,1 „singet dem Herrn ein neues Lied“ doch bei uns zu Hause, im „Kämmerlein“, beim abendlichen „Balkonsingen“ oder in unserem Herzen Folge leisten - in der Gewissheit, dass er unsere Nähe sucht, zu uns kommen und in unserem Herzen Einzug halten will. Amen!

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer

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