Lesepredigt zu Rogate 17.05.2020

Predigt zu Matthäus 6,5-15 - Das Vaterunser

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Jesus lehrte seine Jünger und sprach: Habt Acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. - Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

                       Bild: Albrecht Dürer „Betende Hände“ um 1508; Quelle: commons.wikimedia.org

Wenn wir im Gottesdienst das Vaterunser beten, gemeinsam singen (was zurzeit leider nicht möglich ist) und beim „Opfer“ bzw. in der Kollekte für vielerlei Zwecke Geld sammeln, dann tun wir das nicht – davon bin ich überzeugt – „um von den Leuten gesehen und gepriesen zu werden.“ - Es ist uns ein inneres Anliegen. Es ist wichtig im gemeinsamen Singen, Beten und Hören auf Gottes Wort zu erfahren: Ich bin mit meinem Glauben nicht allein. Da sind Schwestern und Brüder an meiner Seite. Sie tragen mich mit in ihrem Gebet, in ihrem Glauben, in der Gemeinde. Auch für Kinder und Jugendliche in der Schule, im Konfirmandenunterricht, in der Jungschar und in Gottesdiensten ist es wichtig, das gemeinsame Gebet zu pflegen, damit es für sie zu einer guten Gewohnheit werden kann. Denn auch Beten will erst gelernt sein.

 

Trotzdem sagt Jesus: „Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.“ - Beten im verschlossenen Kämmerlein – Die einzig verschließbare Kammer in einem einfachen jüdischen Haushalt zurzeit Jesu war die Vorratskammer. - Dorthin zu gehen, fordert Jesus auf, in diesen wenig sakralen Raum, um allein zu sein mit Gott und um – wie Jörg Zink es formulierte – anwesend zu sein vor Gott; um sich zu sammeln; um zu schweigen, anstatt zu reden; um zu hören, was Gott uns sagen will.

 

Für Jesus ist das Gebet etwas sehr Intimes. Es ist nur zu vergleichen mit der Beziehung zwischen Menschen, die sehr innig miteinander verbunden sind; die einander im Gleichklang der Herzen verstehen; die einander verstehen, ohne dabei viele Worte zu machen; die spüren, wie es dem anderen geht; die wissen, was ihn oder sie bewegt; die dafür keine langen Erklärungen brauchen. Es ist wie bei Freunden. Es ist wie in der Beziehung zwischen Eltern und Kind; wie bei Menschen, die sich lieben.

 

Menschen können im Gebet erfahren: Gott versteht mich. Er ist der Grund, der mein Leben trägt. Von ihm fließt mir Kraft zu. Menschen, die sich von Gott beschenkt und getragen wissen, sind bereit, von ihrem Gut und Besitz herzugeben, denn sie wissen: Gott wird ihnen ihr tägliches Brot und alles, was sie zum Leben brauchen, geben. Menschen, die sich von Gott beschenkt und getragen wissen, sind bereit, ihre Liebe großherzig zu verschenken. Damit verändert sich die Welt. Sie vertrauen darauf: Gottes Reich wird kommen. Menschen, die sich von Gott beschenkt und getragen wissen, sind bereit auch einmal auf ihr Recht zu verzichten. Sie müssen nicht um jeden Preis „Recht behalten“ oder auf Positionen beharren, denn sie wissen: Gott macht den ersten Schritt auf uns zu. Deshalb können wir auf andere zugehen. Das ermöglicht Versöhnung. Er vergibt uns unsere Schuld in dem Maße, wie auch wir zur Vergebung bereit sind.

Menschen, die sich von Gott beschenkt und getragen wissen, sind gefeit vor dem überall um sich greifenden Narzissmus unserer Tage. Denn Gottes Name soll geheiligt werden, nicht der Name von Menschen. Wir dürfen gewiss sein, dass Sein Reich kommt und die bestehenden Reiche vergehen. - Denn Sein ist die Kraft ist und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer

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