Lesepredigt zum Karfreitag 2020

Lese - Predigt für Karfreitag zu 2. Kor 5,19-21 am 10. April 2020 – Altenmünster

( -> Zum Anhören auf YouTube verfügbar)

Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.     Lutherbibel 2017

Es ist Karfreitag! Wir erinnern uns an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Es ist das Schicksal von einem, der so anders war als alle um ihn herum: Anders als die offiziellen Vertreter der Religion. Anders als die Inhaber von staatlicher Gewalt. Anders auch als seine Gefolgsleute und Jünger. Selbst sie haben ihn am Ende nicht mehr verstanden.

Was war das Andere an ihm? Da geht eine Linie durch seine Leidens- und Sterbensgeschichte, etwas was selbst seine Gegner mit Verwunderung, teilweise sogar mit Bewunderung erfüllt hat: Er steht da und schweigt. Er nimmt alles auf sich, was man ihm auflädt. Er verteidigt sich nicht mit dem Hinweis auf die anderen, die schuldig wären. Nein, er stellt sich. Als ihn die Soldaten im Garten Gethsemane suchen, geht er auf sie zu und sagt: „Sucht ihr mich, dann lasst meine Jünger gehen.“ Er schaut nicht nach Schuldigen neben sich, sondern entschuldigt sie. Er findet immer noch etwas, was er ihnen zugutehalten könnte: „Sie wissen nicht, was sie tun. Deshalb, Vater, vergib ihnen!“ Er hebt sich auch nicht ab von denen, die neben ihm am Kreuz hängen. Er ist nicht darauf bedacht, deutlich zu machen, dass er selbst kein Verbrecher ist. Er wendet sich – dem eigenen Tod schon nahe - einem von ihnen zu und verheißt ihm: „Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Auch gegenüber dem anderen kommt kein Wort der Verdammnis über seine Lippen.
(Allgäuer Wegkreuz – Foto: Simone Ettmüller)

Es ist eine Geschichte von einem, der das Böse, das man ihm anhängt und antut, nicht weiterreicht, nicht zurückgibt. Er nimmt es an, damit es von ihm aus nicht mehr weitergeht und weiterwächst. Damit es ausgemerzt wird. Damit es endlich verschwindet. Damit aus diesem Todesprozess, nicht neues Unheil wächst. Nicht neues Unrecht entsteht. Damit dieses ewige Hin und Her von Vergeltung und Widervergeltung, von Schuldzuweisung und Schuldweitergabe endlich zu Ende kommt. So ruft sein Blut nicht nach Rache, sondern nach Versöhnung. So ist sein Tod nicht zu einem Zeichen von Hass und Feindschaft geworden, sondern zum Zeichen der Liebe und des Lebens. Deshalb ist auch sein Kreuz kein Symbol der Unterdrückung, sondern ein Symbol der Versöhnung.

Warum reden wir noch von ihm? Warum erzählen wir noch seine Geschichte. Warum halten wir uns sein Bild vor Augen, das Bild des Gekreuzigten? Ich glaube, in dieser Geschichte begegnet uns mehr als ein Vorbild und mehr als ein Ideal, das wir nicht erreichen können. In dieser Geschichte begegnet uns Hoffnung und Heilung. In dieser Geschichte begegnet uns Gott selbst. Das spüren die Menschen.

„Gott war in Christus“, sagt Paulus. - Und mit ihm sagen es alle Zeugen des Neuen Testamentes. In der Geschichte von Jesus zeigt uns Gott, was er für einer ist. Und alle Titel, die man Jesus verliehen hat: Christus, Sohn Gottes, Ebenbild des Vaters, alle diese Titel wollen immer wieder nur eines sagen: In Jesus begegnet uns der lebendige Gott. Wo Jesus handelt, da handelt Gott. Wo Jesus leidet, da leidet Gott. Wo Jesus stirbt, da stirbt Gott. Damit ist die Geschichte von Jesus nicht die vergangene Geschichte eines Rabbi aus Nazareth. Damit begegnet uns in dieser Geschichte Gott selbst. Der Gott, von dem alles ausgeht, was lebt; von dem alles ausgeht, was steht und sich bewegt im All und auf der Erde; der Gott, von dem alles herkommt und auf den alles zuläuft; und mit allem auch unsere Lebenswege. Damit begegnen auch wir uns selbst in dieser Geschichte. Damit kommen auch wir in dieser Geschichte vor.

Wir erleben es täglich, dass Schuld unbarmherzig und unerbittlich angerechnet wird. Dass ein unbedacht gesprochenes Wort uns noch nach Jahren vorgehalten wird. Dass Fehler auf Fehler genau registriert werden: Pass auf! Allzu viele Fehler darfst du dir nicht mehr erlauben, sonst hat es Konsequenzen, sonst ist Schluss; sonst verlierst du deinen Arbeitsplatz. Wie bitter nötig haben wir es deshalb, dieses gute Wort von der Versöhnung, die von Gott ausgeht: „Gott versöhnte die Welt mit sich selbst. Er rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu.“ Versöhnung gilt hier in ganzer Tiefe. Versagen und Schuld und verfehltes Leben werden nicht angerechnet. Du brauchst nicht Schuldige zu suchen, um dich zu entlasten. Du bist entlastet. Du musst dich nicht ins rechte Licht rücken und andere in den Schatten stellen. Du stehst schon im Licht; nicht im Licht deines Erfolges oder deiner Rechtschaffenheit, sondern im Licht der Liebe Gottes. Vor dem Spiegel der letzten Wahrheit musst du dich nicht zurecht machen. Gott trägt dir deine Fehler nicht nach. So lautet das gute Wort von der Versöhnung. - „Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“, sagt Paulus. Und damit hat uns ein gutes Wort erreicht. Es sagt: Komm wir fangen neu an. Wir geben uns die Hand. Du bist nicht mehr mein Feind. Wir gehören zusammen.

„So bitten wir nun an Christi statt“, sagt Paulus. Wie Christus selbst die Arme ausstreckt, so und nicht anders können auch wir nur bitten: Lasst euch versöhnen mit Gott. Nehmt an, dass Gott mit dem Tod Christi am Kreuz Schluss machen will mit dem ewigen Kreislauf von Vergeltung und Widervergeltung. Tut euren bitteren Erfahrungen nicht zu viel Ehre an, sondern gebt Gottes Wort und Christi Tat von der Versöhnung die Ehre - dass Friede werde auf Erden. Gott helfe uns dazu. Amen!
 

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer
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