Lesepredigt zu Sonntag Exaudi - 24.05.2020

Predigt zu Jeremia 31,31-34

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Papst Franziskus besuchte einmal die evangelische Christuskirche, eine Kirche der Waldenser in Rom. Bei dieser Gelegenheit stellte ihm eine evangelische Frau, deren Mann röm.-katholisch war, die Frage, die viele gemischt konfessionelle Paare bewegt, nämlich die Frage nach der Möglichkeit der gemeinsamen Teilnahme am Abendmahl bzw. an der Eucharistie. Die Rückfrage des Papstes lautete etwa so: „Was sagt Ihr Herz dazu?“ – Ja, nach dem steinernen Gesetz der röm.-kath. Kirche ist die gemeinsame Teilnahme eines gemischt konfessionellen Paares am Abendmahl eigentlich nicht möglich. So ist es im Gesetzeskodex festgeschrieben. Aber das fleischerne Herz hält sich an andere Regeln und ist dem Leben zugewandt. Dieses Herz in Verbindung mit dem Ge wissen bestimmt, wie ich in Verantwortung vor Gott und meinen Mitmenschen zu leben haben. Papst Franziskus hatte vielleicht die Worte des Propheten Jeremia vor Augen, als er der Fragestellerin als Antwort diese Gegenfrage stellte. -

Da lesen wir im 31.Kapitel des Propheten Jeremia in den Versen 31-34:

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: "Erkenne den HERRN", denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Wir kennen die steinernen Gesetzestafeln, die das Volk Israel durch Mose am Berg Sinai erhalten hat. - Es gibt aber auch das fleischerne Gesetz, das der Gott des Lebens dem Volk Israel ins Herz geschrieben hat, das Gebot der Gottesliebe und das Gebot der Nächstenliebe. - Wie unser Herz pausenlos pocht und das Blut durch den Körper strömen lässt, so ist auch dieses Gesetz der Liebe nicht statisch, nicht feststehend, nicht unbeweglich, eben nicht in Stein gehauen, sondern beweglich, anpassungsfähig und dient dem Leben. Es ist wie der Pulsschlag des Herzens, der nicht wahllos ist und nicht unkontrolliert und willkürlich, sondern einmal entspannt und ruhig, ein anderes Mal leidenschaftlich und schnell. So hat auch das Gesetz der Liebe seinen eigenen Rhythmus und seine eigenen Regeln. Und es hat ein göttliches Fundament. Denn Gott sagt: „Ich, der Gott der Liebe und des Lebens, will ihr Gott sein, und die Menschen Israels sollen mein Volk sein.“

Was dem Volk Israel damals – und uns heute – durch den Mund des Propheten Jeremia zugesagt wird, ist umso erstaunlicher, wenn wir uns vor Augen halten, was damals passiert war: Das Volk Israel war von seinem Glauben an den einen und einzigen Gott JAHWE, dem Gott der Väter Abrahams, Isaaks und Jakobs abgerückt und hatte sich von ihren benachbarten Völkern andere Götter und Götzen für dieses oder jenes Alltagsproblem herangezogen. - Das kennen wir auch heute: Trotz lautem Bekenntnis zu einem „Christlichen Europa“ haben andere mächtige Götzen im „Christlichen Abendland“ Hochkonjunktur. Und diese Götzen heißen Macht und Geld, Nationalismus und Patriotismus - aber auch Individualismus. Und diese Götter fordern Opfer auf Kosten der Natur und der Mitmenschlichkeit. Sie stürzen Menschen in Arbeitslosigkeit und Elend durch Handelskriege und wirtschaftliche Abschottung. Der fanatische Geist, den sie den Menschen einimpfen, schafft Misstrauen und Hass zwischen Menschen und ganzen Völkern.

Es war damals zurzeit des Propheten Jeremia nicht anders:  Das Volk Israel hatte durch seine Zuwendung zu anderen Göttern den Bund mit ihrem Gott gebrochen. Deshalb hatten sie auch die ihnen beim Bundesschluss am Berg Sinai dem Mose übergebenen in Stein gehauenen Gesetze – die 10 Gebote – außer Acht gelassen. - Das konnte nicht ohne Konsequenz bleiben. Das Volk Israel musste die kriegerische Besetzung Jerusalems durch das Volk der Babylonier erleben und nach einigen weiteren Jahren die Zerstörung von Jerusalem und auch des Tempels. Ein Großteil vom Volk Israel wurde nach Babylonien verschleppt. - Was ihnen als Unheil geschah, empfand das Volk Israel als göttliche Strafe für ihren Abfall vom Glauben an ihren Gott. Sie hatten die liebevolle Beziehung Gottes zu ihnen missachtet und verlassen. Das hatte sie in die Verbannung geführt. In diese schreckliche Lebenssituation hinein verheißt Jeremia dem Volk Israel einen neuen Bund, den Gott mit ihnen schließen will. Gott will Vergebung üben und nicht die Vergangenheit aufrechnen. Er will dem Volk eine neue Perspektive geben und sein Bundesgesetz in ihr lebendig schlagendes Herz geben. Dabei geht es nicht mehr um steinerne Buchstaben, um in Stein gehauene Maßstäbe und Richtlinien. Es geht in diesem neuen Bund um die lebendige Begegnung von Gott und Mensch, von Mensch zu Mitmensch. Es geht um das liebende Miteinanderleben unter der schützenden Hand Gottes. - Klein und Groß werden in gleicher Weise den Herrn erkennen, prophezeit Jeremia. Sie werden Gott als den Beschützer und Bewahrer des Lebens erfahren. Der Prophet verkündet Hoffnung in einer hoffnungslos verfahrenen Lebenssituation.

Wir können heute aus einer noch weit größeren Hoffnung schöpfen. Denn in Jesus Christus hat uns Gott gezeigt, für wen sein Herz schlägt. Sein Herz schlägt für die Menschen in Not und Trostlosigkeit. Es schlägt für die, die unter Gewalt, Hunger und Vertreibung leiden. Es schlägt für die Einsamen und Mittellosen und für die, die unter dem Mangel an Liebe leiden. Sein Herz schlägt für uns – und zwar so sehr, dass er sein eigenes Leben dafür hinzugeben bereit ist Das dürfen wir uns zu Herzen nehmen; besonders wenn sich die Erinnerung an schmerzliche Brüche und Erfahrungen in unserem Leben uns aufs Herz legen will. Wenn wir daran denken müssen, wie wir anderen, oder andere uns Liebe schuldig geblieben sind; wie Beziehungen und Freundschaften zerbrachen; wie Versprechen nicht eingehalten wurden und dabei Vieles zu Bruch ging. Wir dürfen wissen: Gott will uns ein neues, ein weiches, ein vertrauensvolles Herz schenken. Dieses Herz darf mutig auf die vielen guten Möglichkeiten Gottes und auf seine Barmherzigkeit vertrauend in die Zukunft gehen. So können wir auch zu den Brüchen in unserem Leben ja sagen. Gott trägt sie uns nicht nach.

Heute am Sonntag Exaudi – am Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten – richten wir unser Herz, unsere Stimme und unser Gebet an den „hörenden Gott“ und auf Jesus Christus, der als jüdischer Rabbi die steinernen Gesetzestafeln bestens kannte und vor ihnen Respekt forderte – aber trotzdem am Sabbat heilte, sich mit Sündern an einen Tisch setzte und Tote ins Leben zurückrief. Er folgte dem Gesetz seines Herzens. In seiner Nachfolge können wir der Frau, die Papst Franziskus nach einer Möglichkeit der gemeinsamen Teilnahme am Abendmahl fragte, antworten: Du hast ein neues Herz geschenkt bekommen. Richte dich danach und hab ein freies Gewissen! -  Zusammen mit dieser Frau können wir in unseren Entscheidungen auf die Liebe Gottes bauen. Wir können die befreiende Botschaft der liebevollen Zuwendung Gottes weitersagen. Wir können als freie, liebende Menschen unsere Wege gehen. Der liebende Gott wird mit uns sein.

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer

Weitere Exemplare dieser Lesepredigt in den Boxen am Eingang der Friedenskirche