Lesepredigt zu Sonntag Trinitatis - 7.06.2020

Predigt zu 4. Mose / Numeri  6,22-27

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22 Und der Herr redete mit Mose und sprach: 23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: 24 Der Herr segne dich und behüte dich; 25 der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; 26 der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. 27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

Es liegt schon einige Jahre zurück. Ein Junge, ungefähr 4 Jahre alt, sollte getauft werden. Schon als er in die Kirche kam, war ihm seine Skepsis anzusehen. Vor ihm wurden noch andere Kinder getauft, kleinere und größere. Mit den Händen in den Taschen ging er mit kritischem Blick vor dem Taufstein auf und ab. Er betrachtete sehr genau, was bei der Taufe der anderen geschah. Aber offensichtlich hatte ihn das nicht überzeugt. Als er an der Reihe war, und sein Vater ihn auf den Arm nahm, um auch ihn zur Taufe zu bringen, wehrte er sich mit Händen und Füßen. Es war klar: Er will nicht getauft werden. So ließen wir es. Er wurde nicht getauft. - Was war passiert: Am Vorabend seiner Taufe war der Junge von seiner Großmutter gefragt worden, ob er denn wisse, was es bedeutet, getauft zu werden. Weil es für einen vierjährigen Jungen schwer ist, „Taufe“ zu erklären, erklärte ihm Großmutter: „Wenn du getauft wirst, mein Junge, wirst du gesegnet“ – Das Problem war: Der Junge konnte mit dem Wort „Segen“ nichts anfangen. Das einzige was ihm bei Segen einfiel, war Sägen – aber gesägt wollte er nicht werden.

Können wir unseren Kindern und Enkeln erklären, was Segen ist? Können wir es uns denn selbst erklären? - Wenn es uns vielleicht auch schwerfällt, die Bedeutung und das, was beim Segnen geschieht, in Worte zu fassen. Ich glaube eine Ahnung davon, ein Gespür, ein Gefühl für das, was beim Segnen geschieht, haben wir schon.

In vielen biblischen Geschichten wird davon erzählt, dass Gott selbst segnet, oder dass Menschen Gottes Segen an andere weitergeben: Ganz am Anfang der Bibel segnet Gott seine Schöpfung. Er segnet nicht nur die Menschen; er segnet auch Pflanzen und Tiere; und lässt damit seine Schöpferkraft auf die ganze Schöpfung überfließen. Pflanzen und Tiere und ganz besonders wir Menschen tragen seitdem etwas von Gottes Segens-Kraft in uns. Diese Kraft Gottes ist stark. Sie trägt eine besondere Qualität in sich. Sie hat die Fähigkeit, lebendig zu machen. Sie lässt uns leben. Sie ermöglicht uns, uns zu bewegen – mit Händen und Füßen und mit unserem Verstand. Sie lässt uns dem Wunder der Schöpfung und vielleicht noch mehr dem Wunder unserer eigenen Existenz nachspüren. Sie lässt uns nach einer Antwort auf die Fragen suchen: Warum gibt es mich überhaupt? Welche Aufgabe hat mein Leben? Was kann meine Lebenssehnsucht stillen? Auf welches Ziel will ich mich zu-bewegen.

Die Segens-Kraft Gottes will vor allem auch unser Herz bewegen. Sie will unser Herz schlagen lassen, für die Schönheit dieser wunderbaren Schöpfung. Sie will unser Herz schlagen lassen für die Menschen, die ich liebe. Sie will mir ein Herz und auch ein Erbarmen schenken, für das, was die Menschen bewegt; und nicht zuletzt auch für das, was mich selbst bewegt.

Gottes Segen macht, dass wir einander Zeit und Liebe schenken. Gottes Segen macht, dass ich etwas von der Einzigartigkeit von Dir spüre und die Würde und den Segen erkenne, den Gott in Dich gelegt hat: In Dich, mein Kind. In Dich, du Mensch, den ich liebe. In Dich, mein Freund, meine Freundin. Und auch in Dich, Du fremder Mensch, dem ich vielleicht nur kurz begegnet bin, aber dieser Augenblick hat mein Leben bereichert.

Gottes Segen, der schon ganz am Anfang der Schöpfung stand, will uns hinein nehmen in einen großen Strom, der auf ein Ziel zufließt. Die Schöpfung. hat Gott ins Leben gerufen, damit er ein Gegenüber hat, dem er begegnen kann. Gott will vor allem uns Menschen begegnen. Wir Menschen sind mit Sinnen ausgestattet, dem Wunder der Schöpfung nachzuspüren. Wir haben die Fähigkeit, auf einander zu zu gehen und einander zu begegnen. Die tiefste Art, einander zu begegnen ist die Liebe. Gottes Liebe ist der Ursprung aller Schöpfung. Aus Gottes Liebe hervorgegangen sind auch wir. Wir sind Gott am ähnlichsten, ihm zum Bilde geschaffen, und deshalb ganz besonders dazu befähigt zu lieben und damit dem Ziel der Schöpfung immer näher zu kommen.

Der Aaronitische Segen, der Predigttext von heute, ist der Segen, der am Schluss von jedem Gottesdienst gesprochen wird. Er hat eine besondere Würde. Von ihm wird erzählt, Gott selbst hat ihn formuliert. Er beginnt mit den Worten: „Der Herr segne dich“ – damit wird uns Leben und Lebendigkeit nicht nur in Aussicht gestellt, sondern zugesagt. Und weiter heißt es: „… und behüte dich“. - Sei gut behütet, ein besonderer Segenwunsch, den wir auch im Alltag gebrauchen: „piat di Gott!“ - Ja, ich sehne mich danach, dass das Leben meiner Lieben behütet und beschützt ist. Und ich möchte auch selbst behütet und beschützt sein. Die Bibel sagt, dass Gott dafür auch Engel beauftragen kann: Er hat seinen Engeln befohlen…“ -            „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig“. Wann schauen wir jemand strahlend an? Wenn wir uns über ihn freuen, wenn wir uns auf ihn oder sie gefreut haben. So will uns auch Gott anschauen. Da wird es mir warm um das Herz. Da spüre ich Gottes liebevollen Blick auf mir - Mut machend, aufmunternd, erhellend. Dass Gott uns gnädig anschauen möge, das müssen wir uns immer wieder wünschen. Gott sei Dank hat er sich schon früh darauf festgelegt, dass er uns eben nicht buchhalterisch ansieht, dass er eben nicht den stechenden Blick eines Richters für uns übrighat, sondern dass er uns voller Güte ansieht, väterlich und mit den Augen einer Mutter - liebevoll und aufbauend.

„Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“ Wieder geht es um Gottes Nähe, um seine Weite, die uns umgibt, um seinen Blick, der uns umhüllt, und unseren eigenen Blick weit machen kann. Der Friede, der Schalom Gottes umfasst das ganze Leben. Frieden meint mehr als Waffenstillstand. Der Schalom Gottes meint Leben, wie es im Sinne Gottes sein könnte - für mich selbst und für andere, für Gottes ganze Schöpfung. Gottes Frieden lässt uns lässt uns die Schönheit, die Tiefe und den Reichtum voneinander wahrnehmen.

Wir bekommen am Ende eines Gottesdienstes ein wunderbares Versprechen mit auf den Weg: Gottes Segen, den wir schwer fassen, schwer begreifen können, den wir kaum zu erklären in der Lage sind, der uns aber wie ein großer Kraftstrom durch unser Leben, auf einander zu, hin zu Gott und auf das große Ziel zuträgt. Amen!    

Mit guten Wünschen für eine behütete Zeit, Ihr Pfarrer Jörg Scheerer

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